Samstag, 14. März 2009

Farbenteuer

Hallo ihr Lieben,

mit etwas Verspätung melde ich mich nun zum zweiten mal aus Nagpur und so viel ist wieder passiert, dass es mir unter den Fingern brennt es euch zu erzählen. Es freut mich sehr, dass euch der Text so gut gefallen hat! Natürlich schreibe ich weiter und ich hoffe auch ihr bleibt am Ball. Ich habe jetzt auch mal die Fotos aktualisiert und beschriftet, sodass ihr endlich wissen könnt was wo wie war. Also dann auf zum zweiten Teil!

Gerade sitze ich in der Essens- und Veranstaltungshalle vom Rainbow (dem Hauptsitz vom Sangam) mit offenen Ausgang zum wunderschönen Garten (siehe Foto). Bei sehr angenehmen 25 Grad um halb Zehn Uhr abends, Zikaden gezierpe und indischer Hochzeitstrommelmusik aus der Ferne werde ich von einer Königsanbieterin beim schreiben beobachtet. Ich fühl mich pudelwohl, erst recht beim Gedanken an das Wetter bei euch. Sorry.

Dazu kommt noch die Tatsache, dass diese Woche das Frühlingsfest und Fest der Farben und einer der größten Feste in Indien überhaupt gefeiert wurde und ich glücklicherweise genau zu dieser Zeit hier bin. Zu HOLI, wie das Fest heisst, kaufen sich alle Leute an den Straßenecken flashige Farbpulver und dann feiert man entweder im Kreise der Familie oder auch auf der Straße den ganzen Tag indem man sich gegenseitig mit Farbpulvern und gefärbten Wasser aus Wasserpistolen anspritzt und beschmeisst. Ich hatte das Glück über Amelie, eine andere Freiwillige, von einer Familie eingeladen worden zu sein und mit ihnen das Fest auf ihrer kleinen Farm nördlich von Nagpur zu feiern. Das war schon einzigartig so privat in einer 20 köpfigen Family zu sein (Cousins, Kinder, Enkelkinder). Los gings morgens um 9 erst mal mit einer Schlammschlacht im Garten, was die Familieninterne Erweiterung von Holi war. Das hat verdammt Spass gemacht sich richtig im Dreck zu wälzen, wie zu Pfützenspielzeiten. Einzig die Tatsache, dass die Schlangen bei jedem Tropfen Wasser sofort aus ihren Erdlöchern kommen könnten hat mir ein wenig Unbehagen bereitet, aber wir hatten noch mal Glück gehabt. Später wurde dann ein wahnsinnig leckeres Hühnchengericht gekocht (zur Feier des Tages gab es Fleisch, was nicht oft hier vorkommt) und dann ging das eigentliche Holi los. Jeder der nicht bei 3 auf dem Baum war hatte sofort nen Haufen leuchtent pinkes Farbpulver im Gesicht, im Haar, im Ohr und in den Klamotten. Gekrönt wurde die Farbschlacht dann von Wasserpistolenangriffen aus dem Hinterhalt, die dem saftigen Pink ein dezent leuchtendes Blau hinzugefügt haben. Kurz gesagt, jeder sah aus als wenn er in den Farbtopf gefallen wäre. Ein großartiges Fest und eine noch größere Schrubberei im nachhinein. Anschließend war es für mich sehr beeindruckend wie in einer indischen Familie gefeiert wird. Alle haben sich dann zum runterkommen wieder hingesetzt, ein paar extremst zuckerhaltige Süßigkeiten gefuttert, leckeren Chai (süßer Tee) getrunken und für die nächsten 4 Stunden zusammen indische Lieder gesungen. Das fand ich echt Wahnsinn. Einer spielte Gitarre und irgendwie jeder kannte die meisten Lieder in und auswendig. So ungefähr 99% davon waren bestimmt Liebeslieder, in der Regel ältere traditionelle Songs. Ich fand das echt beeindruckend wie man so viele Texte auswendig singen kann auch wenn mir jetzt nicht alles so 100% musikalisch gefallen hat. Die Stimmung war so angenehm und familiär, das war schon was ganz besonderes so privat dabei sein zu können. Ihr könnt ja ein bisschen auf den Fotos davon sehen.

Auch sonst war die vergangene Woche im Zeichen der Farbe. Ich hatte nämlich das Glück durch einen kleinen Arbeitsunfall in Bamhani (dazu später mehr) die Woche in Nagpur zu bleiben und alleine die Wände, Türen und Schreibtische des Volunteer-Büros, der Küche und die Theke, zu schleifen, grundieren und über zu malen. JUHUU! Nach dem zweiten Tag war ich von den Lacken zugedröhnter als jeder Nagpurer Holi-Party-People, der sich die offizielle HOLI-Droge „Gulal“ reingepfiffen hat. Zur Krönung hab ich dann noch allergisch auf das Terpentin reagiert, weswegen meine Arme jetzt auch nach Holi noch rot leuchten. Happy Holi  !!!

Das wär mir in der Natur in Bamhani natürlich nicht passiert, aber da ich gemeinhin dafür bekannt bin Sachen runterzuschmeissen und mich selbst zu zerstören habe ich natürlich auch die Fallen, die auf dem Feld in Bamhani warten, mitgenommen. Als ich Dienstagmorgen letzte Woche top-motiviert auf das Feld hinausgegangen bin um mit den Feldarbeitern die Linsenernte ein zuholen, bin ich in eine Art natürliche Speerspitze reingelaufen. Ein abgeschnittener Halm ragte aus der Erde raus, bohrte sich durch meine Flip-Flop-Sandale und rauschte direkt auf meinen Fußknochen durch! Ein höllischer Schmerz durchzuckte mein Bein und mein Fuß war binnen Sekunden mit Blut überströmt. Zum Glück sah das ganze dramatischer aus, als es letzendlich war und nach ein paar Minuten hatte sich die Blutung beruhigt. Der eigentlich Schocker kam dann noch im Mamta-Krankenhaus, was ja mit auf der Farm steht, als eine Krankenschwester vom Sangam mir mit ihrer ungeputzten Riesenzange in meine Wunde reinstochern wollte um zu gucken ob da noch Überreste drinsteckten. Ich konnte sie dann noch von dem Gegenteil überzeugen, bevor es zu spät gewesen wäre und ihr darüber hinaus mitteilen, dass sie nächstes Mal lieber das Sterilium benutzen sollte, was ja immerhin daneben stand. Zum Glück war es nicht so schlimm und ein Verband hat gereicht. Schwein gehabt.

So humpelnd musste ich mir dann einen neue Arbeitsbereich suchen, damit ich die Zeit sinnvoll in Bamhani nutzen konnte. Da wir planen in der Regenzeit das Regenwasser von den Dächern zu sammeln, zu filtern und dann als Trinkwasser zu benutzen um das natürliche Grundwasser während der Monsunzeit nicht auszubeuten, mussten noch die Abmessungen und Pläne für die Rohrverlegung und den Auffangtank gemacht werden. Also hatte ich mir einen 3 m langen Bambusstock gegriffen und die Dachflächen und Höhe der beiden Gebäude vermessen. Wenn wir dieses Jahr einen guten Monsun bekommen, das heisst genügend und andauernden Regen, dann könnten wir je nach Monat täglich 2000-4000 Liter Wasser sammeln, was für ein Großteil der ca. 30 Leute in Bamhani reichen könnte. Das wär super. Ich bin echt gespannt wie das klappt. Momentan ist es schon schwierig überhaupt den Klempner ranzukriegen, der das ganze dann installieren soll. Der ist nämlich nicht gekommen, weil seine Mitarbeiter alle zum Holi-Festival nach Hause in ihre ganzen Dörfer gefahren sind. Somit lief in der letzten Woche schon mal nichts, obwohl eigentlich nur 2 Tage wirklich Feiertag war.

Bei der Planung stolpert man zudem hin und wieder über unverständliche Verständisse bezüglich Schwerkraft und Druckverhältnissen auf Seiten der indischen Mitarbeiter. Ich hab ca. 5 Anläufe gebraucht um meinen Kollegen zu erklären, warum man bei einen Wassertank, der 3 m hoch sein soll, das Zulaufrohr nicht am Boden anbringen kann weil der Druck eines Regenrohr nicht ausreichen würde um einen 27.000 Liter Tank von unten zu befüllen. Über solche größere und kleinere Hürden stolpert man eigentlich jeden Tag, wobei man dann aber auch immer wieder bewundert wie gut dann doch alles läuft. Wenn man das „richtige“ Leben auf dem Land mitbekommt, wo tagsüber 8-10 Stunden der Strom ausfällt, weil die riesigen Industriegebiete in der Nähe den ganzen Strom fressen und dann die Wasserpumpen nicht funktionieren, dadurch die Felder nicht bewässert werden können, man dann den Generator anschmeissen muss, bei dem der Diesel aber ausgegangen ist, der Jeep zum Nachschub holen jedoch in der Reperatur ist, weil nachts die Räder geklaut wurden, dann bekommt man langsam eine Idee, wie die Inder improvisieren müssen um doch irgendwie alles am laufen zu halten. Ich zieh echt den Hut davor.

Es gibt aber auch Tage wo alles ganz gut läuft. Zum Beispiel konnte ich diese Woche meinen ersten kleinen Erfolg verzeichnen. Ich hatte einem Experten vom Nationelen Zitruspflanzen Forschungszentrum um Hilfe bezüglich unserer kranken Sweet Lime-Pflanzen (Süße Limetten) gebeten. Und entgegen der Vorhersage meiner Kollegen, die meinten, dass die Beamten wahrscheinlich kaum „ihren Arsch“ bewegen würden hat sich der Experte 2 Tage später bei mir gemeldet, mir die Krankheit benannt, die richtige Methode zur Beseitigung erläutert und mich darüber hinaus zu einer Besichtigung der Forschungsstadion eingeladen. Also indische Freundlichkeit at it´s best. O.k. vielleicht ist es auch nur mein Ausländernbonus, aber immerhin. Ich bin gespannt wie der Besuch bei ihm wird.
Während meiner Invalidenwoche in Nagpur hab ich zudem versucht auch tiefer in die Biolandbau-und Wasserkonservierungsmaterie einzusteigen und die momentane Situation einzuschätzen. Wir haben zum Beispiel Bodenanalysen von den Feldern machen lassen, anhand derer wir jetzt sehen können, was jahrelange Monokulturen aus dem Boden gemacht haben und wie wir die Fruchtbarkeit durch Biodünger und Crop Rotation (jährlich verschiedener Anbau von Nutzpflanzen) verbessern können. Teresa, eine ehemalige Freiwillige, hat dazu eine Menge angestoßen. Zum Beispiel wurden auf unseren Feldern 4 verschiedene Methoden des Weizenanbaus ausprobiert. Mit konventionellen und biologischen Düngern und Saamen. Durch den Ertrag von dem Weizen pro Fläche können wir nach der Ernte in den nächsten Wochen rausfinden, was die beste Methode ist. Außerdem können wir von den biologischen Weizenpflanzen die Körner im nächsten Jahr neu einpflanzen, während man das konventionelle Saatgut jedes Jahr neu kaufen müsste.

Ich will das Thema jetzt nicht vertiefen, aber ich wollte euch nur eine Idee geben, was hier ich alles machen kann. Zum Beispiel hab ich auch versucht ein paar Bücher über Ökolandbau in Indien aufzutreiben, aber nach dem 10. Buchladen in Nagpur hab ich die Hoffnung aufgegeben. Dafür ist das hier einfach noch zu unpopulär. Dabei ist Biolandbau mit traditionellen einheimischen Saamen und Techniken eine echte Alternative gegenüber den teuren Hochertragssorten, die eine Menge Dünger brauchen und trotzdem bei schwachen Monsun (so wie 2008) einfach zugrunde gehen und zig Bauern in die Schuldenfalle treiben, da sie die Kredite die sie für den Kauf aufgenommen haben nicht zurück zahlen können. Mit der Modellfarm in Bamhani versuchen wir ihnen diese Alternative in Realität zu zeigen und sie von dem alternativen Weg möglichst überzeugen. Es gibt also eine Menge zu tun und mittlerweile kann ich auch wieder normal gehen, sodass ich wieder mit anpacken kann ab Montag.

Es gibt noch so viel zu erzählen, aber da ich ja noch eine Weile hier sein werde, gibt es ja auch noch genug Gelegenheit dazu. Oder ihr meldet euch einfach selber mal bei mir wenn ihr wollt, per Email (johannes_fleischer@web.de) Telefon (00919657981201) oder auf dem Blog selbst. Seit ganz lieb gegrüßt aus Nagpur und lasst euch von den Bildern inspirieren http://www.flickr.com/photos/31906747@N02/ !

Euer braungebrannterer Johannes

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